Ausgrenzung durch Sprache
Interview mit der Heilbronner Stimme
Die politische Debatte über Integration und den Umgang mit Flüchtlingen muss auch sprachlich behutsam geführt werden, argumentiert Dr. Clara Herdeanu, die promovierte Linguistin und Stipendiatin der Deutschlandstiftung Integration ist und in der Pressestelle von ebm-papst in Mulfingen arbeitet. Unser Redakteur Manfred Stockburger hat sie getroffen.
Integration und Sprache werden als Schlüssel zum Erfolg in der aktuellen Flüchtlingssituation genannt. Wie sehen Sie das?
Clara Herdeanu: Sprachkenntnisse des Landes, in das man gelangt, sind zur Integration förderlich. Das weiß ich aus eigener Erfahrung: Als ich in den Kindergarten kam, konnte ich nur Rumänisch. Die Fähigkeit, eine Sprache sicher zu beherrschen, ermöglicht es, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Allerdings: Wenn jemand mit Akzent spricht, heißt das nicht, dass er auch mit Akzent denkt. Der ist nicht dumm, nur weil er sich nicht so wortgewandt in der deutschen Sprache ausdrücken kann.
Und Integration?
Herdeanu: Integration ist seit Jahren ein beliebtes Schlagwort, die genaue Definition bleibt aber diffus. Und der Ausdruck kann sogar ausgrenzen: Integrieren müssen sich immer die Anderen. Gelingt es nicht, sind die „Anderen“ schuld, die sich „nicht integrieren wollen“. So entsteht ein Machtgefälle.
Ein Machtgefälle durch das Wort Integration?
Herdeanu: Ja, wenn durch seine Verwendung die Unterschiede zwischen der Mehrheitsgesellschaft und „den Anderen“ verstärkt werden, die sich integrieren müssen – der Gegensatz wird betont und nicht die Gemeinsamkeiten. Das gilt übrigens auch für das Wort Migrationshintergrund: Diese Bezeichnung scheint zwar politisch korrekt und neutral zu sein, paradoxerweise werden der britische Banker in Frankfurt oder der US-Journalist in Berlin aber nicht als „typische Migranten“ betrachtet, die sich integrieren sollen – der in Deutschland geborene Türke mit deutscher Muttersprache behält hingegen seinen Migrationshintergrund.
Die Sprache und ihr Gebrauch haben also große Tücken.
Herdeanu: Mit Sprache mache ich mir die Welt begreifbar. Allerdings ist sie kein neutrales Medium. Sie ist nicht objektiv. Sie entscheidet darüber, wie ich die Welt wahrnehme. Dadurch, wie ich etwas ausdrücke, perspektiviere ich. Die Mehrheitsgesellschaft verfügt im öffentlichen Diskurs über die Deutungshoheit und kann deshalb bestimmte Bedeutungen dominant setzen, wie wir Linguisten sagen.
Dann werden wir doch mal konkret. Welche Wörter sollte man verwenden, wen man über die Menschen spricht, die zu uns kommen?
Herdeanu: Aus meiner Sicht ist „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“ eine gute Bezeichnung, aber ich habe da auch nicht die absolute Antwort. Wenn man die Betroffenen fragt, gibt es kein eindeutiges Bild. Wichtig ist, dass darüber reflektiert wird, welche Bedeutungen mitschwingen.
Welche Fallstricke gibt es da?
Herdeanu: Nicht nur eindeutig diffamierende Wörter wie Armutsflüchtlinge oder Sozialbetrüger, die „unseren Jobmarkt stürmen wollen“, sind problematisch: Da wird das sprachliche Bild der Naturgewalten aufgerufen und der Kontrollverlust, der da implizit ist, hat etwas mit Angst zu tun. Auch das Wort Flüchtling drückt ein Machtverhältnis aus: Jemand der unserer Hilfe bedürftig ist. Dabei wird überhaupt nicht mehr differenziert, woher und aus welcher Situation die Menschen kommen. Vor 30 Jahren waren z.B. diejenigen, die es über die deutsch-deutsche Grenze schafften auch Flüchtlinge.
Oft nennen sich Menschen aber doch selbst Ausländer und grenzen sich damit selbst aus.
Herdeanu: Häufig verfolgt man dann eine offensive Strategie und macht sich solche Begriffe zu eigen. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Ich bin manchmal sprachlos, wenn Menschen nur wegen meines Namens zu mir sagen: Sie sind ja Ausländer. Ich habe in solchen Situationen dann auch schon augenzwinkernd gängige Klischees bedient und gesagt: „Ich bin Rumänin, passen Sie auf Ihren Geldbeutel auf“. Solche Reaktionen sind natürlich auch kritisch zu betrachten. Aber mit welcher Autorität kritisieren wir Menschen, die in ihrem Alltag Rassismus und Ausgrenzung erleben?
Zuerst erschienen in der Heilbronner Stimme im April 2015
Kommentar schreiben